Warum Deutschland heute eine tiefere Erwerbslosenquote hat als die Schweiz
Ein Gastblog von Daniel Kopp
Erstmals seit ‚Menschengedenken‘ hat Deutschland eine niedrigere Erwerbslosenquote (gemäss ILO) als die Schweiz. Dieser Blog hat bereits darauf hingewiesen. Mittlerweile sind weitere Beobachter auf die Situation aufmerksam geworden und versuchen sich in einer Analyse. In der heutigen NZZ fragt beispielsweise Christoph Eisenring ob Deutschland die bessere Schweiz sei. Die Antwort ist: Nein. Damit hat er in vielerlei Hinsicht Recht: Die Schweiz hat einen höheren Wohlstand pro Kopf, weniger Lohnungleichheit, einen niedrigeren Tieflohnsektor und weniger Teilzeitbeschäftigte, die eigentlich Vollzeit arbeiten wollen. Befremdend ist, dass der Autor eine Art Wettkampf zwischen den beiden Ländern ausruft. Letztlich geht es aber nicht darum, wer besser ist, sondern darum, dass es beiden Ländern gut geht – nicht zuletzt, weil davon alle profitieren.
Dennoch ist die Analyse der unterschiedlichen Entwicklungen interessant. Nicht um zu eruieren, wer das Duell um die bessere Wirtschaftsleistung gewinnt, sondern um Erkenntnisse zu gewinnen, auf welche Faktoren die Unterschiede zurückzuführen sind und was für Lehren daraus gezogen werden können. Leider bietet der Artikel diesbezüglich wenig Erhellendes. Die gesunkene Erwerbslosenquote in Deutschland wird mit lediglich zwei Faktoren erklärt: Der Dezentralisierung der Lohnverhandlungen in den 90er Jahren sowie den Hartz-Reformen Anfang der 2000er Jahre. Beide Entwicklungen haben zu stagnierenden Reallöhnen, einem wachsenden Tieflohnsektor und einer höheren Lohnungleichheit geführt. Doch waren sie auch die Hauptgründe für die gesunkene Erwerbslosigkeit in Deutschland? Dieser Schluss hält einer sorgfältigen Analyse nicht stand. Stattdessen sind folgende Faktoren hervorzuheben:
- Der auffälligste Unterschied zu anderen entwickelnden Volkswirtschaften (inkl. der Schweiz) liegt darin, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland trotz eines besonders starken Wirtschaftseinbruchs 2009 kaum anstieg. Der weit verbreitete Einsatz von Kurzarbeit spielte dabei eine wichtige Rolle. Dieser erlaubte es den Firmen während der Rezession die Anzahl Arbeitsstunden ihrer MitarbeiterInnen zu reduzieren ohne diese zu entlassen. Auch (Jahres) Arbeitszeitkonten und zuvor angehäufte Überstunden halfen dabei. Zwar wurde auch in der Schweiz auf das Instrument der Kurzarbeit zurückgegriffen, aber in einem geringeren Ausmass. Zudem litten viele deutsche Exportunternehmen vor der Krise an einem Fachkräftemangel. Sie waren deshalb zurückhaltend mit Entlassungen, weil sie wussten, dass im Aufschwung das Personal schwierig zu rekrutieren ist. Schliesslich hat Deutschland im Gegensatz zu anderen Staaten nach der Krise keine weit reichenden staatlichen Sparprogramme umgesetzt. Stattdessen wurde die Konjunktur durch Staatsausgaben stabilisiert.
- Die Geldpolitik der EZB orientiert sich am gesamten Euroraum. Für Länder mit einer verhältnismässig guten wirtschaftlichen Entwicklung wie Deutschland war die Geldpolitik deshalb relativ expansiv und kurbelte das Wirtschaftswachstum an. Im Gegensatz dazu hat die Schweizer Exportwirtschaft mit einem stark überbewerteten Franken zu kämpfen. Dies liefert eine wichtige Erklärung für die unterschiedliche Entwicklung der Erwerbslosigkeit in Deutschland und der Schweiz seit 2011.
- Die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte wird in Deutschland stärker als in anderen Ländern (und deutlich stärker als in der Schweiz) durch die fortgeschrittene demographische Alterung reduziert, was sich dämpfend auf die Arbeitslosigkeit auswirkt. Der starke Rückgang der Arbeitslosigkeit seit 2005 wurde dadurch zwar nicht ausgelöst, wohl aber verstärkt.
- In der Schweiz wurde zwischen 2001 und 2005 das Rentenalter für Frauen um zwei Jahre erhöht, während in Deutschland erst 2011 begonnen wurde, das Rentenalter in kleinen Schritten auf 67 anzuheben. Dies führte zu einer stärkeren Ausweitung der Arbeitssuchenden in der Schweiz. Mehr Arbeitsuchende bei unverändertem Arbeitskräftebedarf der Firmen führt zu einer höheren Arbeitslosigkeit.
- Die starke Performance der deutschen Exportindustrie ist weniger auf dezentrale Lohnverhandlungen und eine Lohnzurückhaltung zurückzuführen, sondern vielmehr auf ein starkes Produktivitätswachstum der Exportindustrie, dem vermehrten Zukauf von günstigen Vorleistungsgütern aus dem Ausland sowie dem günstigeren Erwerb von Vorleistungsgütern aus dem Inland. Dies lässt sich nicht zuletzt in der im NZZ Artikel erwähnten Studie von Dustmann, Fitzenberger und Co-Autoren (2014) nachlesen – wenn man sich denn die ganze Studie und nicht bloss eine Zusammenfassung zu Gemüte führt.
- Und die Hartz-Reformen? Auf Grund der starken Ausweitung des Niedriglohnsektors und des parallel erfolgenden verstärkten Drucks auf die Arbeitslosen dürften sie die Arbeitslosigkeit tatsächlich etwas reduziert haben. Doch der Effekt sollte nicht überschätzt werden. (s. die Analyse von Matthias Knuth). Schwer wiegen jedoch die massiven negativen Auswirkungen der Reform auf Löhne und Arbeitsbedingungen.
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