Seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert gibt es alle paar Jahrzehnte Diskussionen und Schreckensszenarien, dass Menschen durch Maschinen ersetzt und in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden. Das scheint gegenwärtig wieder der Fall zu sein. Im angelsächsischen Raum gibt es verschiedene auflagenstarke Publikationen (Rise of the Robots u.a.), das medientrend-fixierte WEF hat die Digitalisierung (Industrie 4.0) zum Hauptthema Treffens gemacht u.a. Die NZZ und der Tagesanzeiger haben die Themen in den letzten Tagen aufgegriffen (erschreckend unkritisch).
1832 wurde in Uster die Spinnerei und Weberei Corrodi & Pfister angezündet, weil die Maschinen als existenzzerstörend bzw. arbeitsplatzvernichtend wahrgenommen wurden. Das war und ist eine Sichtweise auf den Sachverhalt („Maschinenstürmer“). Eine zweite, „befreiende“ Sichtweise wurde beispielsweise im Jahr 1955 vom Philosophen Herbert Marcuse im Buch Eros and Civilization (auf Deutsch v.a. bekannt als „Triebstruktur und Gesellschaft“) auf den Punkt gebracht. Dank den Maschinen könne der Mensch der entfremdeten Arbeit entfliehen und dem Lustprinzip folgen (radikale Arbeitszeitverkürzung mit entsprechender Umverteilung der Einkommen).
Fakt ist, dass die Mechanisierungsschritte bis heute auf gesamtwirtschaftlicher Ebene nicht zu einem trendmässigen Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt haben. Der materielle Wohlstand ist jedoch gestiegen und die Arbeitszeiten sind gesunken. Eine hervorragende Analyse dazu liefert der US-Arbeitsmarktökonomen David Autor (leider nur auf Englisch).
Aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht ist es nicht schwierig zu erklären, warum diese Mechanisierungsschritte keine Massenarbeitslosigkeit nach sich gezogen haben. Firmen investieren nur in Maschinen, wenn es ihnen finanziell etwas bringt. Die Mechanisierung ist daher in der Regel mit einem höheren Einkommensniveau verbunden. Entsprechend höher ist die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen (gesamtwirtschaftliche Einkommen = gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung = gesamtwirtschaftliche Nachfrage). In der Vergangenheit entstanden deshalb immer wieder neue Berufe und Arbeitsplätze. Ein Beispiel ist der Tourismus, der eine Folge des höheren Einkommensniveaus ist. Wer hätte im frühen 18. Jahrhundert gedacht, dass das arme Zermatt einst eine touristische Top-Destination werden wird? Heute sind schweizweit beispielsweise mehrere Tausend SkilehrerInnen im Einsatz. Die Maschinenstürmer von Uster würden die Welt nicht mehr verstehen.
In den betroffenen Branchen kann der Mechanisierungsprozess für die Berufstätigen jedoch klar negative Auswirkungen haben. In den Büros fand die Digitalisierung vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre statt. Die Importe von Computern und Büromaschinen verdoppelten sich zwischen 1990 und 2000. Seither sind sie wieder gesunken. Die Zahl der Berufstätigen mit einem Büroberuf ist von knapp 600‘000 im Jahr 1995 bis 2009 auf rund 400‘000 gesunken. In den letzten Jahren ist sie relativ konstant bzw. sogar wieder leicht steigend. Auch im Detailhandel wurde mit dem Computereinsatz vor allem die Logistik umgekrempelt. Heute können viel mehr Produkte in wesentlich kürzerer Zeit bestellt, transportiert, verkauft und abgerechnet werden. Hauptleidtragende waren ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Vielerorts haben es die Vorgesetzten unterlassen, ihr Personal rechtzeitig darauf vorzubereiten und zu schulen. Während sich die Jüngeren oft neu orientieren konnten, fanden viele ältere Stellensuchende trotz grossen Anstrengungen keine Arbeit mehr.
Wirtschaftspolitisch müssen die Berufstätigen vor solchen Entwicklungen geschützt werden. Sie müssen entsprechende Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten. Für langjährige ältere Arbeitnehmende braucht es einen besseren Kündigungsschutz, auch damit die Arbeitgeber ihrer Fürsorgepflicht nachkommen. Sollte sich ein künftiger Mechanisierungsschritt zuungunsten der Arbeitnehmenden insgesamt auswirken, so bräuchte es entsprechende Umverteilungsmassnahmen von den Profiteuren zu den Verlierern, die beispielsweise über eine höhere Besteuerung der Kapitalerträge oder –gewinne finanziert werden könnte.